Whistleblower-Richtlinie der EU Hinweisgeberschutzgesetz: Informant unter Kollegen

Das Hinweisgeberschutzgesetz tritt am 2. Juli 2023 in Kraft. Welche Unternehmen bis zu welchem Zeitpunkt eine interne Meldestelle einrichten müssen, welche Verstöße überhaupt gemeldet werden können und was das Gesetz für die Praxis bedeutet.

Experten erwarten, dass es wohl insbesondere Meldungen bezüglich des Steuerrechts und der Arbeitsschutzgesetzes geben wird. - © gopixa - stock.adobe.com

Mit dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) setzt Deutschland die "Whistleblower"-Richtlinie der Europäischen Union von 2019 um. Mit deutlicher Verspätung, denn eigentlich hätten die Vorgaben schon bis Dezember 2021 in ein deutsches Gesetz fließen müssen.

Ziel des neuen Gesetzes ist laut Bundesregierung, Hinweisgeber, die Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und Verstöße melden, vor Benachteiligungen zu schützen.

Unter dem Schutz des Gesetzes stehen daher alle Beschäftigten in Deutschland. "Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Arbeitsverhältnis des Hinweisgebers, der einen Verstoß bei seinem Arbeitgeber meldet, noch läuft oder es bereits beendet ist – der Hinweisgeber also zum Beispiel bereits gekündigt hat oder gekündigt wurde, und er das Unternehmen unter Umständen bereits verlassen hat", erklärt Alexander von Saenger, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schultze & Braun. Nach dem HinSchG können aber auch Verstöße gemeldet werden, die zeitlich gesehen vor Inkrafttreten des Gesetzes liegen.  

Um diese Verstöße geht es

Melden können Arbeitnehmer straf- oder bußgeldbewehrte Verstöße ihres Arbeitgebers gegen EU-Recht oder deutsches Recht. "Das deutsche Gesetz geht hier über die EU-Richtlinie hinaus", sagt Alexander von Saenger. Meldefähig seien alle Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, die Verstöße ahnden, die zum Beispiel Leben oder Gesundheit, Arbeitnehmerschutzrechte oder Rechte von Betriebsräten betreffen. "Wahrscheinlich wird es viele Hinweise im Zusammenhang mit dem Steuerrecht geben, aber auch das Arbeitsrecht dürfte bei den Hinweisen vielfach vertreten sein."

Meldefälle könnten nach § 2 HinSchG diese Bereiche betreffen:

  • Steuern: Steuerhinterziehung, unkorrekte Rechnungen, Bargeldgeschäfte und Schwarzgeld
  • Schwarzarbeit
  • Schutzrechte der Arbeitnehmer: Mindestlohngesetz, Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz
  • Betrug bei Corona-Hilfen
  • Betrug bei Kurzarbeitergeld
  • Datenschutz
  • Verkehrssicherheit
  • Lebensmittelsicherheit, Beispiel Gammelfleischskandal
  • Produktsicherheit, Beispiel Abgasskandal
  • Tierschutz
  • Umweltschutz
  • Verstöße bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
  • Korruption

"Das Gesetz ordnet für den Hinweisgeber bei Meldungen zu den festgelegten Meldefällen einen Schutz an. Dieser Schutz steht im Fokus des Gesetzes. Es liefert deswegen auch keine direkte Antwort auf die Frage 'Was können denn überhaupt mögliche Verstöße sein?'. Das regeln andere Gesetze, die Unternehmen unabhängig vom Hinweisgeberschutzgesetz im Blick haben sollten", sagt von Saenger.

Interne und externe Meldestellen

Meldungen sind an interne oder externe Meldestellen möglich. Anders als ursprünglich vorgesehen, hat der Hinweisgeber jedoch kein Wahlrecht. Das bedeutet: Es gibt zwar keine zwingend einzuhaltende Reihenfolge, aber eine Priorisierung (§ 7 HinSchG). "Wenn sichergestellt ist, dass der Meldegrund beim Arbeitgeber vernünftig bearbeitet wird und keine Repressalien folgen, dann soll die interne Meldestelle vor der externen kontaktiert werden", stellt der Rechtsanwalt klar.

Neben den internen Meldestellen in Unternehmen wird es also die noch einzurichtenden externen Meldestellen auf Länder- und Bundesebene geben. An eine externe Meldestelle können sich ­- unter Berücksichtigung der Priorisierung – alle Beschäftigten wenden, auch die, deren Arbeitgeber keine eigene interne Meldestelle bereitstellen muss.

Für Unternehmer bleibt also immer das "Restrisiko", dass sich ein Mitarbeiter an eine externe Meldestelle wendet. Ein Szenario, das Unternehmer nach Möglichkeit vermeiden sollten, so Rechtsanwalt Alexander von Saenger. Denn "ist die Meldung erst einmal bei einer externen Meldestelle eingegangen, folgt zunächst eine offizielle Vorprüfung und das Unternehmen hat möglicherweise weniger Handlungsoptionen, den möglichen Missstand zunächst intern aufzuarbeiten und abzustellen."

Aber nicht jedes Unternehmen ist verpflichtet, eine interne Meldestelle einzurichten. Es gilt:

  • Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten müssen mit Inkrafttreten des Gesetzes eine interne Meldestelle eingerichtet haben.
  • Unternehmen mit mehr als 50 und bis zu 249 Beschäftigten müssen ab 17. Dezember 2023 eine interne Meldestelle anbieten.
  • Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten müssen keine interne Meldestelle einrichten.

Wer keine Meldestelle per Gesetz einrichten muss, kann aber ebenfalls ein unternehmensinternes Verfahren anbieten, um Unregelmäßigkeiten zu melden – besonders, wenn es um den Schutz von Mitarbeitern geht. "Das muss dann kein formalisiertes System sein und nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Arbeitgeber sollten Hinweisgebern aber Vertraulichkeit zusichern", erläutert von Saenger. Denn können Arbeitgeber nachweisen, dass sie Hinweise ernst nehmen und ihrer Fürsorgepflicht nachkommen, könnte sie dies – falls es zu einem Gerichtsverfahren kommt - sogar entlasten.

Wie funktioniert eine Meldung?

Offen ist, wie eine Meldung an die Meldestelle erfolgt: ob mündlich, schriftlich, persönlich oder digital, als App oder webbasiert. "Das Gesetz schreibt im Grunde nur vor, dass der interne Meldekanal vom Unternehmen umfassend kommuniziert werden und niederschwellig nutzbar sein muss. Wichtig ist allerdings, dass die Vertraulichkeit in jedem Fall gewährleistet sein muss", sagt Alexander von Saenger. Wie so oft werde sich wohl erst im Laufe der Zeit herausstellen, welche Meldeverfahren und Meldewege richtig seien.

Der wichtigste Aspekt sei das Vertraulichkeitsgebot nach § 8 HinSchG: "Die Vertraulichkeit des Hinweisgebers muss gesichert sein", sagt Alexander von Saenger. Ursprünglich sollten auch anonyme Meldungen möglich sein. "Das ist jetzt aufgeweicht worden." Arbeitgeber müssen nun kein System zur Verfügung stellen, in dem eine Meldung anonym abgegeben werden kann.

In diesem Zusammenhang sollten Arbeitgeber beachten: Zeigt ein Hinweisgeber an, dass er aufgrund seiner Meldung Repressalien erlitten hat, kehrt sich die Beweislast um. Das bedeutet, der Arbeitgeber muss nun beweisen, dass er seinen Mitarbeiter nicht gemaßregelt hat. "Das verschlechtert die Position des Arbeitgebers in einem Rechtsstreit", so der Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Wie müssen Meldestelle und Meldekanal eingerichtet sein, damit sie die Vorgaben des Gesetzes erfüllen?

Nicht ausreichend sei, wenn der Hinweisgeber eine interne Mail zur Meldung nutzen soll. "Da jeder IT-Mitarbeiter Zugriff hätte, kann keine Vertraulichkeit garantiert werden." Das entspräche den Vorgaben des Gesetzes ebenso wenig wie eine Meldung per Telefon.

Gesetzkonform sei zwar ein Briefkasten. Problematisch könnte jedoch sein, dass ein Arbeitnehmer ihn nicht nutzen kann, wenn er auf Montage oder auf einer Baustelle ist. "Einem Hinweisgeber muss es aber möglich sein, 24 Stunden an sieben Tagen die Woche weltweit in seiner Arbeitssprache eine Meldung abzugeben", erklärt Alexander von Saenger.

Als Möglichkeiten blieben laut Rechtsanwalt nur ein Anrufbeantwortersystem, bei dem die Telefonnummer nicht angezeigt wird, oder ein Meldeprozess über ein IT-gestütztes System.

"Unternehmen werden wohl mehrheitlich ein IT-System anbieten, das die geforderten Voraussetzungen sicherstellt", so die Einschätzung von Alexander von Saenger – Voraussetzungen, wie etwa in der Arbeitssprache zu kommunizieren oder ständig erreichbar zu sein, können so umgesetzt werden.

Darüber hinaus muss das Meldeverfahren so aufgestellt sein, dass der Hinweisgeber innerhalb von sieben Tagen eine Eingangsbestätigung erhält. Innerhalb der folgenden drei Monaten soll ihn dann eine Rückmeldung erreichen, was das Unternehmen bezüglich seiner Meldung unternommen hat. "Das muss sichergestellt sein und überwacht werden, sonst macht sich der Arbeitgeber angreifbar", so der Rechtsanwalt. Sein Rat: "Arbeitgeber sollten sich mit den Voraussetzungen des Gesetzes auseinandersetzen und prüfen, ob ihr Angebot ausreicht." Entspräche das Meldeverfahren technisch nicht dem Gesetz, drohe ein Ordnungsgeld von bis zu 50.000 Euro.

Meldestelle an Dritte auslagern

Eine interne Meldestelle soll von besonders qualifizierten und geschulten Mitarbeitern betreut werden. Diese Aufgabe kann jedoch auch belastend und fordernd sein, je nach Art der Meldung und wie mit ihr umzugehen ist. Bei Straftatbeständen gegen Leben und Gesundheit etwa oder sexueller Nötigung am Arbeitsplatz könnte es erforderlich sein, Polizei und Staatsanwaltschaft einzuschalten. "Diese Verantwortung halte ich für relativ hoch", sagt Alexander von Saenger, "vielleicht ist es in kleinen Unternehmen besser einen Ombudsmann einzuschalten."

Denn neben dem technischen Outsourcen des Meldeprozesses an ein IT-System, kann auch die ganze Meldestelle an einen Dritten ausgelagert werden. In Frage kommen Anwaltskanzleien, Steuerberater oder Gewerkschaften etc. "Für kleine Unternehmen ist das eine Überlegung wert, weil sie die Meldung dann aus ihrem Unternehmensbereich heraus haben und gleichzeitig die gesetzlichen Anforderungen erfüllen", sagt Alexander von Saenger.

Unternehmen haben auch die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen und gemeinsam eine ausgelagerte Meldestelle für ihre Mitarbeiter anzubieten.

Wann geht der Schutz für den Hinweisgeber verloren?

Über die Motivation eines Arbeitnehmers, den eigenen Arbeitgeber wegen eines Verstoßes zu melden, lässt sich nur spekulieren. "Im besten Sinne soll durch eine Meldung eine Ungerechtigkeit oder Ungleichbehandlung abgeschafft werden. Das wäre ein akzeptabler Grund", sagt der Rechtsanwalt. Das Gesetz gehe deshalb auch von gutgemeinter Feststellung eines Fehlverhaltens aus, "die Intention des Gesetzes ist gut, aber wie so oft könnte es zu Missbrauch einladen".

Das habe der Gesetzgeber erkannt und sanktioniert Hinweisgeber bei unwahren Behauptungen. Sie verlieren dann ihren Hinweisgeberschutz und eventuell entstünden sogar Schadensersatzansprüche gegen sie. Dies gilt insbesondere, wenn externe Meldestellen angesprochen werden, denn dann ist die Meldung nicht mehr im internen Unternehmensbereich, sondern wird von offizieller Seite geprüft und bewertet.